Wie faltet man einen Biwaksack? Ein Unfallbericht

Wie faltet man einen Biwaksack? Ein Unfallbericht

7. Oktober 2019 4 Von berniepiko

Wir möchten versuchen, die Ereignisse des 05. Oktober 2019 mit allen Details und Gedanken wiederzugeben. Diesen Text verfassen wir, um uns das Geschehene von der Seele zu schreiben und um den Rettungsteams, unseren Lieben zu Hause, den FreundInnen und Verwandten und auch den interessierten Berg-Fans mitzuteilen, welche Erfahrungen wir während des Bergrettungseinsatzes und bei den Gedanken danach sammeln konnten. Es sind sehr persönliche Eindrücke, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wir haben den Bergrettern in Telefonaten mitgeteilt, einen solchen Bericht zu verfassen und wurden von ihnen darin bestärkt: Also Jungs: “here it is!”

Sa., 07.10.2019

09.30 Uhr am Hochtor: Endlich ist es so weit, wir stehen vor dem Tunnel auf dem Scheitelpunkt der Glocknerstraße bei 2504m und starten ins Vergnügen. Es ist schwach windig mit leichtem Schneefall und genauso haben wir die Tour  geplant: einen “Ausflug” in den hochalpinen Winter – über den Klagenfurter Jubiläumsweg zum Otto-Umlauft-Biwak, dort wollen wir übernachten um morgen weiter über den Hocharn zum  Sonnblick zu gehen und schlussendlich in die kleine Fleiß absteigen, wo wir heute Früh schon unser Auto geparkt haben – soweit der Plan. Aber es kommt erstens anders und zweitens als man denkt: 

Am Hochtor

Start am Hochtor

Wir essen noch eine Startbanane und nach den ersten  Schritten hinauf zur Passhöhe des Hochtors sind wir bereits auf Betriebstemperatur und wandern über die Rücken entlang der Landesgrenze nach Osten. Die ersten zwei Stunden begleiten uns etwas Wind mit leichtem Schneegeflunker und immer wieder brechen ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken. Wir sind bester Laune und haben bis zum Biwak ca. 4 Stunden Gehzeit vor uns. Das Gelände wird mit dem Zu- und Aufstieg zum Hinteren Modereck immer selektiver, wir gehen an teils überwächteten Graten entlang und der Wind ist dort knackiger. 

Zustieg zum Hint. Modereck

Wir haben das Wetter und die Prognosen in den letzten Tagen beobachtet, unser Wettercheck am Donnerstag hat uns genau diese Verhältnisse versprochen und wir sind warm angezogen und Bernie denkt beim Gehen öfter, dass er sich einfach pudelwohl fühle – draußen bitterkalt, aber in seiner Hülle perfekt warm. Wir plaudern viel, lachen und haben Spass… Das Hintere Modereck (2930m) ist nach kurzen Kletterstellen erreicht und wir jausnen was, trinken, und weil der Wind doch aufgefrischt hat, gehen wir zügig weiter. Beim Gehen sind der Wind und die niedrigen Temperaturen absolut erträglich, beim Stehen wird es halt frisch.

Am Hint. Modereck

Weiter geht´s zum Gipfel der Noespitze 3005m und von dort über ihre Ostwand entlang von ein paar Stahlseilen hinunter auf eine kleine Scharte. Nur mehr der Krumlkeeskopf, 100m rauf und runter, trennt uns vom Otto-Umlauft-Biwak, in dem wir eine gemütliche Nacht planen. Der morgige Tag hat gutes Wetter prognostiziert und wir freuen uns auf eine selektive Tour zum Hocharn und weiter zum Sonnblick. Beim Abstieg von der Noespitze sind wir durch den Schnee gefordert, den Wegverlauf genau zu finden. An den Fixseilen vorher hat sich das von selbst ergeben, in der Flanke am unteren Ende der Ostwand müssen wir genau schauen und den Weg suchen. 

Noespitze Ostwand

Und dann: ca. 13.30 Uhr: Der Absturz da wir von hier an getrennt waren, versuchen wir auch, unsere Eindrücke getrennt zu schildern:

Bernie: Mario geht vor mir und steigt in eine unscheinbare Schneeflanke ein. Wir haben durch den guten Weg und die Kletterpassagen bisher keine Steigeisen angelegt und haben noch unsere Stöcke in der Hand, weil die Wanderung anfangs damit auch sehr angenehm war. Die Helme sind noch im Rucksack, die Eisen, die komplette Hochtourenausrüstung natürlich auch. Die Flanke ist nicht steil, max. 40° und Mario geht ein paar Schritte … plötzlich rutscht er aus und schlittert nach unten. Er liegt am Bauch, rutscht etwa 20m, er stöhnt bzw. schreit verkrampft und verschwindet über die erste Kante nach unten. Ich verliere ihn aus dem Blick, höre ihn weiterhin stöhnen, schreien und dann Stille… ich bin wie versteinert. Was war das jetzt??? Ich stehe hilflos da, rufe… „Maaaarioooo….?“ und Gott sei Dank bekomme ich Antwort. Ich brülle „wie geht´s dir?“ und die Antwort lautet „ich weiß noch nicht“. Gott, bin ich froh, dass er mir antwortet! Ich dachte kurz, er sei tot. Ich überquere die Schneeflanke und stelle fest, dass hier Altschnee bzw. harter Harsch unter den 10cm Pulverschnee liegt. Mario hat das nicht gemerkt, weil wir ja schon 3 Stunden im Pulverschnee ohne jede Art von Harsch darunter unterwegs waren und er ist auf dem Harsch eben abgefahren wie ein Einser… nicht schnell aber auch nicht langsamer werdend und mit den Stöcken in der Hand auch chancenlos, die Rutschphase zu stoppen. Ich setze und trete mir jeden Tritt genau, ich prüfe, ob er hält und mir steigt die Angst in die Glieder: Jetzt nur nicht auch noch abrutschen! Ich erreiche nach wenigen Metern die Scharte und sehe mich um, suche einen Weg nach unten. Die Flanke hinunter zum vermeintlichen Punkt, wo Mario liegt (ich sehe ihn noch immer nicht) ist durchaus steil und durchzogen von Felsbändern, ich bin vorsichtig und steige weiter ab. Ich rufe und höre Marios Antwort: Er teilt mir mit, dass er nicht auftreten kann, dass sein Sprunggelenk verletzt sei. Für mich ist klar: Wir brauchen fremde Hilfe, Mario kommt über die Ketterpassagen niemals zum Otto-Umlauft-Biwak, ein Rückzug oder Abstieg ist unmöglich. Ich teile Mario mit, dass ich einen Notruf absetzen werde.

Mario: Ich steige auf eine mit ein paar Zentimetern Pulverschnee bedeckten Steinplatte, in den Händen unterstützend meine Teleskopstöcke. Ohne besonders viel nachzudenken belaste ich meinen linken Fuß und rutsche plötzlich nach links weg. In Sekundenbruchteilen denke ich mir: “Okay, nix Besonderes, das ist mir schon öfters passiert, ich fange mich mit der Hand oder dem zweiten Fuß oder der rutschende Fuß findet wieder Halt!”. Doch ich verliere den Boden unter den Füßen und liege auf der Seite. Ich drehe mich auf den Bauch und suche nach etwas, an dem ich mit festhalten kann. Ich kann aber nach nichts greifen, finde keinen Halt und rutsche in gefühlter Zeitlupe weiter. Dabei beginne ich mich zu drehen und spüre plötzlich Luft unter meinen Beinen beziehungsweise unter meinem linken Arm. Mir ist sofort klar: “Ich werde jetzt gleich über eine Geländekante fallen und das bedeutet nie etwas Gutes!”. Ich hatte das Gefühl schon ganz vergessen wie es ist, zu Fallen während die Zeit scheinbar langsamer vergeht. Nicht wie in Zeitlupe, sonder vielmehr wie in der Matrix. Es kommt mir so vor als gäbe es 2 Uhren: eine für die Psyche, die andere für die Physis. Die eine geht ein bisschen schneller, die andere viel langsamer. Ich falle – anfangs mit dem Kopf voraus – ich denke mir: “So werde ich sterben! Ich werde meine Familie nie wieder sehen. Wie werde ich landen und wie wird es sich anfühlen?”. Passend zu der Sturzhöhe und dem Drehimpuls durch die Geländestufe, habe ich mich in der Luft um 90 Grad gedreht, sodass ich mit dem Rücken beziehungsweise mit dem Rucksack auf dem Rücken gelandet bin. Was für ein Glück! Während des Sturzes gebe ich, mehr oder weniger, lautes Stöhnen, Schreien und Ächzen von mir. Jetzt geht alles wieder ganz schnell und durcheinander: Arsch, Kopf, Arsch, Stöhnen, Schnee überall, ich verliere vollkommen die Orientierung. Dazwischen fühle ich mich kurzzeitig schwerelos und ich meine, ein Stück Holz brechen zu hören. Schließlich komme ich am Bauch, mit dem Kopf nach unten, zum Liegen. Ich versuche mich aufzurichten und meine Gesicht vom Schnee zu befreien. Nachdem ich mir, am Hintern sitzend, eine kleine Stufe in die abschüssige Schneefläche getreten habe, um ein vernünftigen Stand zu haben, mache ich einen “System-Check”. Kopf-Arme-Finger-Beine-Oberkörper-Rücken scheinen okay zu sein. Als ich aufstehen will, merke ich, dass mein linker Fuß etwas abbekommen hat. Zuerst vermute ich nur eine kleine Prellung aber ich kann den Fuß nicht mit meinem Gewicht belasten. Ich höre Bernie rufen, wahrscheinlich ruft er schon länger, doch durch den Wind kann ich ihn nur schwer verstehen, obwohl ich Sichtkontakt habe. Er steht zirka 30 Meter oberhalb von mir und ruft: “Mario? Ist alles okay? Brauchen wir Hilfe?”. Ich rufe zurück: “Ich kann nicht auftreten!”. Bernie setzt darauf einen Notruf ab. 

Noespitze Ostwand – Absturzstelle und Falllinie, im Vordergrund die Scharte @www.on-tour.at

13.40 Uhr: Bernie: Ich steige wieder zur Scharte auf, am Handy hab ich auch dort keine Netz-Anzeige. Ich checke auf der Bergfex-App meine Koordinaten, schaue nach, ob die Lage auf der Offline-Karte auch korrekt angezeigt wird und wähle die 112. Sofort meldet sich die Polizei Bruck. Die Dame leitet mich sofort nach einer kurzen Schilderung zur Rettungsleitstelle weiter und dort geht´s los: Wer? Was? Wo? Wann?… ich versuche alles so genau wie möglich laut der Fragen des Telefonpartners zu schildern, checke nochmals die Koordinaten, jetzt nur keinen Fehler machen! Ich bekomme mitgeteilt, dass durch die Wettersituation eine Hubschrauberbergung nicht möglich ist, das ist mir klar. Der Wind hat aufgefrischt und es kann die Bergung nur am Boden erfolgen. Das heißt für mich sofort: ca. vier Stunden warten!!! Ich gehe wieder nach unten zu dem Platz wo ich Mario hören kann, der Wind knallt mir an der Scharte dermaßen um die Ohren, dass man so gut wie nichts hört. Ich rufe ihm zu und drehe mich dann mit dem Rücken zum Wind, um seine Antworten besser hören zu können. Ich teile ihm die Eckdaten kurz mit, frag ob es ihm halbwegs geht, ob er seinen Biwaksack hat, er bestätigt. Ich habe die Kopien der Karten in der Hand, habe aber den Nordbereich unserer Absturzstelle nicht mehr weit genug drauf – ich sehe, dass dort das Weißenbachkees ist, ob es talseits erreichbar ist oder nicht, weiß ich nicht. Ich gehe also von einem Zustieg der Bergrettung über den Grat, wie wir gekommen sind, aus. Ich will nicht zu Mario absteigen, das ist mir zu riskant, denn ich sehe nicht genau, wie die Felsbänder gelagert sind. Ich brauche in meiner Situation keinen Ausrutscher mehr. Außerdem will ich nicht riskieren, dass das Rettungsteam an uns vorbeigeht, Mario evtl. gar nicht findet. Ich steige also wieder zur Scharte auf und habe vor, dort zu bleiben. Ich trete mir im Schnee eine Grube, nutze eine größeren Stein als Windschild und lege auch meinen Rucksack als Windblocker ab. Ich hole meinen Biwaksack und steige rein, lege mich in die Grube und harre der Dinge. Der Wind staubt mir permanent den Schnee durch die kleine Atemöffnung des Biwaksacks und beim Liegen spürt man v.a. am Arsch die Kälte des Schnees darunter. 

Mario: “Einen Notruf? Muss das sein?”, denke ich mir. Ich versuche abermals, den Fuß zu belasten, es schmerzt nicht besonders schlimm aber ich knicke immer wieder ein, alleine komme ich weder zum Biwak noch vom Berg runter. Ich versuche mich zu sammeln und meine Gedanken zu ordnen, öffne meine Jacke und putze all den Schnee heraus. Der Reißverschluss meines rechten Hosenbeins ist kaputt, ich denke mir: “So a Schaß! Wie soll ich den reparieren?!”. Jetzt den Rucksack öffnen, ich überlege mir, was ich alles in der nächsten Zeit brauchen werde: warme Haube, frische Handschuhe, den Helm aufsetzen, Hard-Shell-Jacke anziehen, etwas zu trinken, meine Schokolade und den Biwaksack. Der Rest kann im Rucksack bleiben. Dann höre ich Bernie wieder rufen: “Die Bergrettung ist alarmiert! Geht es dir gut? Hast du einen Biwaksack?”. Ich antworte ihm jedes Mal mit: “Ja!”. Bernie informiert mich außerdem, dass er am Grat bleibe, da der Abstieg zu gefährlich sei und er oben Empfang habe. Sein Handeln ergibt für mich Sinn. Es hilft der Psyche enorm, jemanden bei sich zu haben, dem man vertraut. Ich trinke ein wenig und breche mir eine Rippe von der Schokolade ab. So, und jetzt noch den Biwaksack. Also raus aus der Hülle und…Halt! Moment! Ich denke mir: “Wenn ich den jetzt aufmache, bekomme ich ihn nie wieder so klein zusammengefaltet, dass er wieder in die Hülle passt!”. Ich überlege mir daher eine Alternative, finde aber keine. “No Na!”, denke ich mir. Ich setze mich auf den Rucksack und steige mit den Füßen voraus hinein, gar nicht so einfach. Die Hülle binde ich, als Standortmarkierung, auf einen meiner Teleskopstöcke. Das habe ich irgendwo einmal gelernt. Halb im Sack drinnen fühle ich mich total unsicher, ich habe Angst, dass ich in der glatten Folie am Schnee den Halt verliere und ein weiteres Mal abstürze. Also nehme ich meinen Pickel und versuche das Podest, auf dem ich sitze, zu vergrößern. Die Schneedecke ist in diesem Bereich aber nur 30 bis 40 Zentimeter dick, darunter liegt Eis und Fels. So gut es geht richte ich mich ein, schlüpfe in den Biwaksack, bleibe jedoch mit der Hose am Rucksack sitzen und stülpe mir den restlichen Biwaksack über. Gar kein einfaches Unterfangen bei dem Wind. Kurz überlege ich, Löcher in den Sack zu schneiden, verwerfe diese Idee jedoch gleich wieder. Bernie meldet sich noch einmal und teilt mir mit, dass der Hubschrauber, aufgrund der Witterung, nicht fliegen kann, die Bergrettung kommt zu Fuß, dies wird aber länger dauern. Ich überlege wie lange: 3 Stunden? 4 Stunden? Mir wird kalt, ich bekomme kurzzeitig einen massiven Schüttelfrost von den Beinen bis zu den Zähnen. Alles vibriert, teilweise habe ich keine Kontrolle über meinen Körper. Ich bin leicht verschwitzt vom Gehen, möchte mich aber unter diesen Bedingungen nicht ausziehen, um meine Unterzieher zu wechseln. Mit dem Versuch, mich abzulenken wird auch das Zittern weniger. 

Ca. 14.30 Uhr: Bernie: Inzwischen hat mich eine SMS erreicht, ich möge die Nr. 0664… bei der Polizei in Bruck anrufen. Na gratuliere – ich habe ja kein Netz! Ich wähle also wieder 112 – lande bei der Polizei in Bruck, man kann mich aber nicht auf das Handy verbinden. Und der zuständige Polizist kann mich via Handy nicht erreichen… ein Bingo! Doch dann schafft man es doch, meinen Anruf an den zuständigen Polizisten zu verbinden. Hr. Voithofer teilt mir nun mit, dass die Bergrettung unterwegs sei, ich aber nicht vor 16.00 Uhr mit einem Eintreffen rechnen soll. Er fragt nach, wie es uns geht, ich schildere die Situation und dass ich auf der Scharte warte. Er rät mir, mich zumindest bis 16.00 Uhr aus dem Wind zu flüchten, der mittlerweile doch auf über 50km/h (in Böen über 80km/h – ich habe beim Verfassen des Berichts die Wetterdaten von Ankogel angesehen) zugelegt hat. Ich denke mir, dass wir eigentlich schon im Biwak wären, bzw. hätten sein sollen. Und ich frage mich ab und zu, ob wir aus dieser verdammt einsamen Lage je wieder rauskommen werden. Ich steige wieder aus dem Biwaksack, beim Liegen ist die Kälte der Wahnsinn. Wieder runter zu Mario – ein kurzes Hallo, die Info, wir müssen warten und dass ich hier oben warten werde, dass ich ihm unten eh nicht helfen könne. Er scheint wirklich „nur“ das Sprunggelenk verletzt zu haben, also keine Lebensgefahr. Ich nehme den Rat vom Polizist Marcell Voithofer ernst und suche auf dem recht kahlen Rücken einen Unterschlupf: in Richtung Noespitze ist es mir zum Biwakieren zu steil, also gehe ich etwas nach Osten zu einem Luv-seitigen Felsvorsprung – der Wind hat dort einen Kolk ausgeblasen, es ist dort ein Felsbankerl, auf das ich meinen Rucksack lege und wieder in den Biwaksack steige: Diesmal bin ich schlauer und setze mich hin, kauere im Sack so, dass ich ihn mir auch über den Kopf ziehen kann und rolle die Öffnung so ein, dass ich nur mehr eine 10x10cm Öffnung zum Schauen habe und den Grat und die Noespitze so gut es geht im Blick behalten kann. So ist es deutlich erträglicher – der Hintern hat durch den Rucksack warm und im Kauern ist es einfach besser. Ich überlege, ob ich eine rauchen werde… aber durch das Nikotin ziehen sich die Venen zusammen – es wird mir evtl. kalt in den Zehen und Fingern werden. Doch Alkohol dehnt die Venen aus, ich hätte als Gegenmittel also Bier mit. Aber saufen will ich jetzt auch nicht grade und ich riskiere einfach eine Beruhigungszigarette – die tut mir gut und ich habe keine Erfrierungen bekommen. Die genannte Zeit des frühesten Eintreffens einer Rettung mit 16.00 Uhr ist für mich unrealistisch: Angesichts der Wetterlage, einer nötigen Rüstzeit für die Teams, Anreise etc. rechne ich mit ca. 17.00 Uhr. 

Mario: Ich kauere im Biwaksack und frage mich, wie mir das passieren konnte, welchen Fehler ich gemacht habe oder was ich übersah. Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich glaubte, meine Familie nie wieder zu sehen und beginne dabei bitterlich zu weinen. Durch diese Tränen kann ich einen Teil des Druckes, der sich in mir angesammelt hat, abbauen. Danach fühlt sich die Situation erträglicher an. Mit der Überlegung, was ich alles brauche, hole ich noch mein Handy, die Brieftasche mit E-Card und einen Ausweis aus dem Rucksack und gib diese in meine Jackentasche. Der Wind ist böiger geworden, das Schneetreiben stärker und die Sicht schlechter. Ich suche nach einem besseren Platz, um die Zeit auszusitzen aber nach unten links oder rechts ist es für mich zu weit. Nach oben sehe ich einen Felsvorsprung, diese Option will ich mir offen lassen. Ich stelle mir die Frage, ob ich für eine Übernachtung im Freien alles beisammen habe, sollte uns die Bergrettung nicht finden. Ist es möglich, sich selbst ins Tal zu retten? Nicht als “Normalo”, sondern als “The Revenant”. Vielleicht brechen sie die Suche wegen dem schlechten Wetter ab?

15.30 Uhr: Bernie: Ich habe mir für jede volle Stunde Wartezeit eine Belohnung hergerichtet: einmal eines meiner „Quetschies“ also ein Früchtemus, einmal einen Müsliriegel. Ich warte und grüble, schaue unentwegt in die Felsflanke der Noespitze, weil ich überzeugt bin, dass die Rettung über diesen Grat kommen muss – ich denke deshalb auch nicht dran, zu Mario abzusteigen. Für mich ist es erträglich hier, und ich denke mir aufgrund der schlechteren Sicht und des immer stärker werdenden Windes, dass ich ihm eh alles gesagt habe, was er wissen muss und mir die Energie spare, weil es einfach im Biwaksack angenehmer ist – ein Fehler, wie sich später zeigt. Die Gedanken kreisen: Was ist, wenn die Suche wegen des schlechten Wetters abgebrochen wird? Das hört und liest man ja immer wieder… zu meiner Beruhigung rede ich mir ein: “Die Suche wird nur bei Totbergungen und Vermissten mit unklarem Standort bei widrigen Verhältnissen abgebrochen” Und wir leben, wir haben genaue Koordinaten angegeben… sollte also klappen… sollte! Ich hadere mit den Schicksal, mit dem Moment von Marios Absturz… mit dem Wunsch, nur diese zwei Sekunden wiederholen zu können. Verdammt nochmal, wir hatten das so geil geplant. Ich denke an meine Freundin, meine Kinder, stelle mir oft die Frage: war das zu viel Risiko? Ich muss fast schmunzeln, weil ich an Obi denke (unsere Kletterkameradin, die normalerweise mit von der Partie ist). Sie wird uns in jedem Fall töten, wenn wir wieder zu Hause sind. Sie ist unser Gewissen und hat, wie sie später massiv behaupten wird, als Frau auch die “natürliche Bergintelligenz”.

Mario: Ich beginne die Umgebung nach Umrissen von Menschen abzusuchen, jedes Mal unterliege ich aber einer Täuschung. Durch die Nebelschwaden kann man sich das Bild der Umgebung nur schwer einprägen. Steinformationen sind einmal da, dann wieder weg, dann wieder da und man erkennt in ihnen nur zu gerne die herannahenden Retter. Die hockende Position, verbunden mit dem Hintern am Rucksack ist gut gewählt. Dadurch bin ich gegen den Schnee gut isoliert und biete der Kälte, sowie dem Wind wenig Angriffsfläche. Nach etwa 2 Stunden steigt wieder etwas Unruhe in mir auf. Ich habe Angst einzunicken und dann abzurutschen. Ich versuche mit Bernie Kontakt aufzunehmen und ich brülle so laut ich kann, jedoch ohne Erfolg. Mir wird klar, dass es bei dem Wind unmöglich ist, den Anderen zu hören. Memo an mich: Ich brauche eine ordentliche Pfeife in meinem “Erste-Hilfe-Paket” (Anm: wir hatten BEIDE an der Plastik-Schnalle unseres Rucksack-Brustgurtes eine integrierte Pfeife – nur gewusst haben wir das damals nicht!). Einerseits verstehe ich, dass ich Bernie nicht erreichen kann, andererseits macht es mich auch nervös. Ich befürchte, dass ihm am Grat etwas zugestoßen sein könnte oder dass er den Rettern entgegen geht, aber dann hätte er mir Bescheid gegeben, denke ich mir. Womöglich ist ihm doch etwas passiert bei dem Versuch zu mir abzusteigen, gehen meine Gedanken weiter. Es wird langsam dunkel und ich ärgere mich, dass ich nicht gleich zu Beginn die Stirnlampe aus dem Rucksack herausgenommen habe. Trotzdem beschließe ich, noch etwas im Warmen zu bleiben und sollte es dunkler werden mir einen Platz für die Nacht zu suchen. Zwischendurch nehme ich immer wieder das Handy zur Hand. Gut, dass ich die Lesebrille auf der Handyhülle habe, denn ohne Brille geht fast nichts bei diesem Licht. Obwohl ich keinen Empfang habe, will ich es mit einer SMS versuchen. Vielleicht geht sie ja raus, “mit einer der nächsten Böen”. Allerdings, wenn eine SMS, dann gleich eine Informative und nicht etwas Kryptisches.

16.15 Uhr: Bernie: Die Zeit vergeht eigentlich schnell, ich habe meine Belohnung gegessen, noch eine geraucht und die Stirnlampe am Stock eingeschaltet und in Richtung Noespitze gerichtet, in der Hoffnung, man würde mich auch so besser sehen, leichter finden. Ich starre in die Felsflanke, und ärgere mich jedes Mal, dass ich mich über jeden Felsbrocken neu wundere, checke, ob er sich bewegt, ob das evtl. Leute sein könnten… man macht sich verrückt mit der Zeit. Der Nebel wird dichter, der Wind stärker. Meine Augen tun weh, ich will mich aber nicht in den Biwaksack so ein-igeln, dass ich evtl. das Rettungsteam übersehe. Ich bin mir sicher, hören werde ich sicher nichts, weil der Wind mir so um die Ohren ballert. Das Knallen des Biwaksacks, das Rauschen ist so laut.

16.30 Uhr: Mario: Irgendwann kommt es mir so vor, als höre ich ein Rufen. Ich gebe Haube, sowie “Buffy” zur Seite und versuche das Windgeräusch auszublenden. Ja, da ruft jemand “Halloooo”. Die Richtung zu orten ist nicht ganz einfach. Ich rufe zurück: “Haaallooo!”, bin mir aber unsicher, ob es die richtige Richtung ist. Das geht ein paar Mal hin und her, mit Unterbrechungen. Plötzlich schießt es mir durch den Kopf: “Was, wenn ich mich battle und wir uns mit Bernie gegenseitig mit unseren Rufen fertig machen?”. Doch dann kann ich, von unten kommend, die Bergretter erkennen, die sich einen Weg durch den kniehohen Schnee bahnen. Ich bin nicht mehr alleine und unheimlich erleichtert. Acht Mann von der Bergrettung – Ortsstelle Rauris kommen bei mir an, erkundigen sich nach meinem Zustand, funken mit der Einsatzleitung, schauen, dass ich im Biwaksack bleibe, ziehen sich um und etwas Trockenes an, bauen den Akia zusammen, bereiten alles für den Abtransport vor, legen mich in einen Sack auf dem Akia, zwei Thermobags dazu, gurten mich fest und drehen mich in die Fahrlinie. Die ersten paar Sekunden habe ich ein mulmiges Gefühl: “Was passiert, wenn…und auf den Akia gezurrt…die Hände im Sack…?”.

Bernie: Täusche ich mich? Höre ich ein lautes und langes „Haaaallllooooo“??? Ich traue meinen Ohren nicht, streife den Biwaksack ab, drehe mich mit dem Rücken zum Wind, weil da das Windgeräusch am wenigsten stört, stehe auf und lausche… wieder ein „Haaaallloooo“! Ich brülle was ich kann retour und schaue in die Flanke, sehe nichts, keine Bewegung, keine Lampe, nichts. Ich setze meine Stirnlampe auf, packe den Biwaksack weg und mache mich marschbereit. Ich muss zur Scharte etwas absteigen und höre wieder mehrere Rufe, die ich erwidere – immer nur „Haaalloooo“, mehr geht nicht, man hört nur den Sturm, an ganze Sätze ist nicht zu denken. Die Rufe scheinen aber von unten zu kommen, aus Marios Richtung. Ich hoffe, dass wir uns nicht mit Mario gegenseitig anschreien, sinnlos und ohne Rettungsteams in der Nähe. Ich steige ab, bin mir sicher: Die Rufe sind nicht Marios Stimme und ich sehe durch den Nebel schemenhaft unter mir drei oder vier Leute im Gänsemarsch über das Schneefeld in Richtung Marios Position gehen – unsere RETTUNG!!! Ich steige noch ein paar Schritte ab, lege meine Steigeisen an und gehe weiter abwärts. Die Bergretter sehen mich, ich stehe oberhalb eines Felsabbruchs von ein paar Metern und suche einen Weg zum Abstieg. Die Rufe der Bergretter aus Rauris und das aufgeregte Fuchteln mit den Armen lassen aber erkennen, dass sie mit meiner Idee keine rechte Freude haben. Ich warte also. Mario wird schon versorgt, der Akia wird zusammengebaut, er wird warm verpackt. Und je ein Bergretter steigt westlich bzw. östlich meiner Position um die Enden der kleine Felswand, oberhalb der ich stehe, zu mir auf. Ich gehe auch ein paar Schritte nach oben, um sie zu treffen. Das Adrenalin im Blut macht mir die Situation erträglich warm. Der Wind ist mittlerweile ein beachtlicher Sturm und meine Kleidung, die Handschuhe und die Schuhe sind weiß vom Reif. Ich treffe die Jungs der Bergrettung – erst bin ich bei Toni, dann schließt Wolfgang zu uns auf. Ich weiß nicht mehr, was ich den beiden Jungs sagte, ob ich überhaupt etwas sagte. Ich denke aber, es war so etwas wie: „Ich war noch nie so froh, jemanden zu sehen, wie euch jetzt“. Wolfgang nimmt mich behelfsmäßig ans Seil, wir steigen zu dritt rasch die Schneeflanke zu Mario und dem Rest des Teams ab. Mario wird weiter verpackt – ich habe gar nicht die Möglichkeit, mit ihm zu reden, es wird gewerkt und alle sind unter Strom. Ich will das Rettungsteam nicht stören, nehme meine Steigeisen ab, packe meinen Rucksack kurz zusammen und Wolfgang, wie sich herausstellt ist er der Einsatzleiter, teilt Marios Ausrüstung auf: Seil, Pickel und Steigeisen werden ans Team verteilt, ich bekomme den restlichen Rucksack zu tragen, schnalle ihn mir quer unter die Deckeltasche. Hier ist Gott sei Dank etwas weniger Wind. Mein Auftrag von Wolfgang lautet: mit Toni vorm Akia absteigen. Ich bin froh, dass ich somit irgendwie eine „Aufgabe“ habe und es tut unglaublich gut, dass mich alle mit Namen anreden, einige mir auf die Schulter klopfen, ein „hey Bernie, wie geht´s dir?“… Ich bin fit, mir ist nicht mal kalt, es passt. Niemand vom Team urteilt, niemand hinterfragt unsere Aktion, unser Risiko, dem wir uns und v.a. die Rettungsteams aussetzten. Allen ist kalt, und die letzten Handgriffe machen Mario im Akia marschbereit und es geht los. Die ersten Schritte torkle ich wie besoffen, weil der Rucksack von Mario mich recht kopfschwer macht – man gewöhnt sich aber an alles. Die Bergretter werken professionell und sind mit dem Akia hinter uns fast so schnell wie wir vorab. Es sind ca. 8 Retter und auch ein motivierter Hund vor Ort, und fast alle sind rund um den Akia beschäftigt, ihn sicher zu steuern, zu ziehen und v.a über die Schneeflanken bergab zu bremsen. Auf etwa der halben Strecke der Bergung wartet ein Trupp der Bergrettung Ortsstelle Fusch, um die Jungs aus Rauris am Akia abzulösen. Die Kollegen aus Fusch wollten uns, wie ich das eigentlich auch angenommen hatte, über das Hochtor erreichen, haben den Zustieg dann aber am Hinteren Modereck auf Grund des Sturms abgebrochen. 

Rettung in Sicht! @Bergrettung Rauris

Mario: Die Bergretter arbeiten sehr professionell. Trotz des schwierigen, steilen Geländes und des teilweise eisigen Untergrundes schaffen sie mich bergabwärts durch den Schnee. Ich höre den Funk mit: Es gibt Probleme mit dem Hubschrauber. Er kann bei dieser schlechten Sicht nicht fliegen und es ist mittlerweile auch schon zu dunkel. Immer wieder erkundigt sich einer der Bergretter nach meinem Befinden, ob es mir gut geht, er richtet mir die Mütze, die über die Augen gerutscht ist oder putzt mir den Schnee aus dem Gesicht. Nie, während der gesamten Rettungsaktion, habe ich das Gefühl, dass mir ein Vorwurf gemacht wird, ob meiner Lage. Nie ein böses Wort dafür, dass die Retter ihre Familien verlassen, ihre Freunde zurücklassen, ihre Arbeit beenden, ihre Freizeit opfern müssen. Dafür ein großes Danke!

Vor dem Abtransport @Bergrettung Rauris

 

Endlich im Akia! Trotzdem ein mulmiges Gefühl @Bergrettung Rauris

19.00 Uhr: Bernie: Ich habe zu tun, Toni zu folgen. Immer wieder höre ich die Funksprüche von Wolfgang mit: es wird über die Möglichkeit einer Hubschrauberbergung gesprochen. Er meldet der Zentrale, dass ein Flug möglich wäre, wenn wir unter die Wolkengrenze kämen. Jedoch ist die Zeit fortgeschritten und es ist schon dämmrig. Ich bekomme mit, dass der Hubschrauberflug für diesen Tag definitiv verworfen wird. Toni hat mir erzählt, dass auf etwa 2400m die Quads stehen – ab dort kann Mario also damit transportiert werden – bis zum Tauernhaus, wo man ihn an die Rettung übergeben wird. Er will mir wohl Mut machen, wenn er sagt: dort werden wir dann ein Bierli nehmen… Ich muss grinsen und sage ihm, dass ich auch Bier mithabe.

Es ist mittlerweile dunkel, wir kommen aber schnell voran und sehen auch bald den Schein der Stirnlampen und Quads schräg unter uns. Wenige Minuten danach sind wir zwei bei den vier Quads. Drei private und das Bergrettungs-Quad stehen im Einsatz. V.a. das dreiachsige Bergrettungs-Quad ist ein Bulle. Luggi, der Fahrer, kommt uns damit einige Meter entgegen und macht es für den Transport fertig. Wir laden die Rucksäcke und warten zu viert. Toni fragt, ob ich das mit den Bieren ernst meinte und ich greife in den Rucksack und hole die vier Dosen hervor – 2x Villacher, 2x Gösser – wobei eine Gösser-Dose ausgelaufen ist, wohl als ich auf dem Rucksack gesessen habe. Toni meint kurz und knapp: “Gösser-Dosen nimmt man auch nicht auf den Berg mit, die haben ein viel zu dünnes Blech”. Wir teilen die Biere, für jeden ein paar Schluck für Gusto, es hat eh gefühlt 0,5°C. Den Rest gieße ich weg und wir warten auf Mario und die Rettungs-Teams… okay, eine rauche ich mit Toni noch 🙂 

Die letzten Meter… @Bergrettung Rauris

Ca. 20.00 Uhr: Bernie: Schnell ist Mario auf das Quad verladen und die abenteuerliche Fahrt über einen steilen Hohlweg geht los. Luggi manövriert uns sicher und gelassen auch durch die ziemlich ausgesetzten Kehren. Die Fahrt dauert viel länger als von mir erwartet, erspart uns aber sicher auch mehr als zwei Stunden Gehzeit zum Tauernhaus. Dort stehen schon ein Rettungsfahrzeug und weitere Kollegen der Bergrettung parat. Ich gebe der Bergrettung noch unsere Personalien und muss dann recht rasch unser Glumpert ins Rettungsauto laden und kontrolliere nochmal, ob ich alles, auch Marios Sachen habe. Mario wird verladen, ich steige ein und wir machen uns auf den Weg. Es geht alles so schnell, ich habe nicht mal die Möglichkeit, mich bei allen Rettern zu bedanken und zu verabschieden. Wenigstens Wolfgang kann ich bei der Abfahrt noch die Hand schütteln. 

Um ca. 22.00 Uhr erreichen wir das KH in Schwarzach und werden dort sofort bestens versorgt. Diagnose: Zertrümmertes Fersenbein, Bruch des Sprungbeins, ein knöcherner Bänderausriss. Eine schwere Verletzung – aber Mario wird mir verzeihen, wenn ich hier schreibe: “ein Kratzer” angesichts des Absturzes, den er hatte. Am Sonntag werden wir von Marios Frau und seiner Tochter abgeholt und fahren ins LKH Villach, wo er schon am Montag operiert wird. 

Mario und Bernie: Wir möchten uns für diesen unglaublichen, professionellen und selbstlosen Einsatz der Rettungsteams der Bergrettungsstellen Rauris und Fusch bedanken. Diese “Jungs” sind Helden für uns. Jeder Griff war abgestimmt, alles klappte und funktionierte. Wir wissen, die Teams sind vom Job, aus der Freizeit, ja sogar aus der Kirche zum Einsatz aufgebrochen, um uns zu helfen. Namentlich sind uns nur einige bekannt, die wir aber stellvertretend für alle nennen und uns von ganzem Herzen bedanken möchten: 

  • Bernies Erstkontakt in der Polizei Bruck:
    Marcell Voithofer 
  • Bergrettung Rauris:
    Einsatzleiter Berg: Wolfgang Rohrmoser
    Einsatzleiter Tal: Chris in der Zentrale,
    im Einsatz am Berg: Toni, Luggi und all die anderen
  • Bergrettung Fusch:
    Paul Hasenauer und sein Team
  • Bergrettung Heiligenblut:
    Christoph Wallner und Team
  • dem Team des Rettungswagens des ÖRK

DANKE an alle, auch jenen, die wir nicht genannt haben und die im Hintergrund am Gelingen der Aktion beteiligt waren! Vergelt´s Gott! 

Die SMS und ihre Folgen:
Wie wir schon oben geschildert haben, war Bernie die letzten 1,5 Stunden der Wartezeit nicht bei Mario, um sich mit ihm auszutauschen. Ein Fehler! Mario hat sich um seine und Bernies Sicherheit Sorgen gemacht und hat an seine Frau eine SMS gesendet – die auch ankam: Inhalt war: “Kannst du Bernie erreichen?” Somit ging eine Alarmierung der anderen Art los: Marios Frau Petra rief Tina, Bernies Freundin an – diese wusste aber auch keine genauen Details über unsere Route und rief Karin, unsere Bergkameradin an. Sie konnte Details nennen und über Umwege erreichte man Christoph Wallner von der Bergrettung Heiligenblut. Dort konnte man aber auch keine Auskunft über unser Verbleiben geben, weil die Salzburger Teams den Einsatz schon am Laufen hatten und die Kärntner KollegInnen offensichtlich keine Infos dazu erhalten hatten. Damit waren unsere Damen in totaler Sorge, weil man auf Grund der SMS annahm, wir hätten uns entweder verloren oder Bernie – so die Annahme – wäre abgestürzt und Mario würde ihn suchen. Die Unwissenheit der Bergrettung bestärkte bei unseren Damen auch die Annahme, dass wir keinen Notruf hätten absetzen können. Die Bergrettung Heiligenblut hat dann unser Auto gesucht, auch gefunden und dann hat sich letztendlich doch geklärt, dass der Einsatz schon in Salzburg sprichwörtlich “auf Hochtouren” läuft. 

Erkenntnisse:

Zwei Fehler sind einer zuviel: Michael Larcher, Leiter der Abt. Bergsport im ÖAV Innsbruck, sagte einmal: Man darf am Berg einen Fehler machen, aber auf gar keinen Fall zwei Fehler: Wir haben viel nachgedacht über die mögliche Vermeidung von dem Ausrutscher, der jedem von uns beiden passieren hätte können. Durch die weiten Gehpassagen waren wir mit Stöcken in der Hand unterwegs. Am Klettersteig hätten wir diese wohl gegen den Stützpickel tauschen müssen. Mit dem Pickel in der Hand hätte Mario die Rutschphase vor der ersten Felsstufe evtl. stoppen können. Fazit: Ausrutschen und keinen Pickeln haben = zwei Fehler! 

Wetter – geht man oder geht man nicht: Auf den Facebook-Postings v.a. jenem der Bergrettung Rauris gab es natürlich Kommentare, wie man denn nur so deppert sein kann und bei so einem Wetter überhaupt eine derartige Tour macht und dadurch auch die Retter gefährdet. Ich gebe allen Recht, ich hätte das auch so geschrieben und kommentiert. Wir haben in den Tagen vor dem Aufbruch genau die Wettersituation recherchiert. Uns war klar, es wird windig, kalt und teilw. leicht schneien und wir waren absolut darauf vorbereitet. Wir wussten von der Kaltfront, die am Samstag von NW über den Tauernhauptkamm kam und uns den Wind und den Schnee bringen würde. Aber uns war klar, dass die erste Tageshälfte noch passabel werden wird und wir ohne Probleme bis zum Biwak kommen werden. Wir haben uns auf die winterlichen Verhältnisse gefreut. Uns waren alle Abstiegsvarianten unterwegs alle bekannt, die Weißenbachscharte, der Weg vom Otto-Umlauft-Biwak nach Süden und auch der Erfurter Weg. Bei zu schlechten Weg-Verhältnissen am Sonntag wären wir auch abgestiegen, da der Weg über Hocharn etc. auch nicht der leichteste ist – v.a. nicht bei Neuschnee. Ausgangspunkt und Basis einer Tourenplanung ist aber immer, dass man mobil ist. Das Wetter wäre auch am Nachmittag noch für uns so gewesen, dass wir den Biwak erreicht hätten. Ein “Ausrutscher” in eigentlich leichtem Gelände mit dem folgenden Absturz ist nicht planbar, kann nicht kalkuliert werden. Wir waren ab diesem Moment des Unfalls nicht mehr mobil und somit hilflos. Wir sind in unserer Bergrunde entweder zu zweit und v.a. auch gerne zu dritt unterwegs und schätzen uns gegenseitig auch dafür, dass jeder einzelne sofort Zweifel zu einer Tour, ob vorab oder während der Tour zur Sprache bringt. Wir besprechen das dann sofort, sind keine “Geitler” und es wäre nicht die erste Tour, die bei Zweifel auch nur eines einzelnen Gruppenmitglieds abgebrochen worden wäre, um einen sicheren Rückzug antreten zu können. Bei dieser Tour gab es vorab, bei der Tour selbst und auch in den vielen Nachbesprechungen mit Mario keine Zweifel an einem sicheren Vorwärtskommen bei den genannten Bedingungen. Der finale Wettercheck erfolgte am Donnerstag Abend und wir haben Freitag ebenfalls nochmal das Wetter beobachtet und beurteilt. Es fiel die Entscheidung, zu gehen – mit der Option, bei zu schlechten Verhältnissen abbrechen zu können. Der Ausrutscher, der leider in einem so entlegenen Bereich passiert ist, kann überall passieren. Es lag nicht am Wetter, es lag an anderen Fehlern, siehe oben. Wir haben bei Tourenplanungen noch nie eine Rettung durch fremde Kräfte ins Kalkül gezogen, wir haben immer Rückzugsvarianten durch eigene Kraft geplant. Mit der Verletzung von Mario war dies unmöglich.  

Kommunikation unter Bergkameraden: Bernie hätte mit Mario v.a. in der zweiten Hälfte der Wartezeit öfter sprechen müssen. Er ist nie zu ihm abgeklettert, weil er auf das Rettungsteam auf der Scharte warten wollte und hier auch Empfang hatte. Für Mario bestand keine Lebensgefahr und er wollte das Risiko des Abkletterns zu ihm nicht eingehen, aus Angst, evtl. nicht mehr zur Scharte hinauf zu kommen. Vor Einbruch der Dunkelheit wäre er auf jeden Fall zu ihm gegangen. Dass er aber v.a. in den letzten 1,5 Stunden der Wartezeit zu wenig oft bei ihm war, um zu kommunizieren, war ein Fehler. Siehe oben: SMS und ihre Folgen! 

Bergausrüstung: Unsere komplette Ausrüstung hat uns die Wartezeit deutlich erleichtert. V.a. der Biwaksack hat sich mehr als bewährt – auch wenn man ihn nicht mehr zusammenfalten kann. Die € 20,- für einen neuen riskieren wir sehr gerne!!! Zur Info: wir trugen Socken, Unterwäsche und Langarm-Shirts – alles aus Merino, eine Softshell-Schicht, ein Gillet Hardshell bzw. Primaloft, Daunenjacke bzw. Hardshelljacke, Hochtourenhose Hardshell, Hochtourenschuhe, Skihandschuhe, Wollhaube und Daunenkapuze. Komplette Hochtourenausrüstung inkl. Steigeisen war dabei. Der Link zu unserer Checkliste ist unten zu finden.

Biwaksack: Wie schon erwähnt war er ein zentrales Element dieses Tages und wir haben gelernt: Im Sack zu liegen ist ungut, der kalte Untergrund kühlt den Körper zu schnell ab. Ideal: Am Rucksack sitzen, kauern und den Sack auch über den Kopf ziehen, nur eine kleine Öffnung vorm Gesicht offen lassen. Die Öffnung wird dann so lange eingerollt, bis man nur mehr ca. 10x10cm offen hat, dann staubt auch der Schnee nicht so in den Sack

Notruf 112 – wer meldet sich, kann man verbinden? Bernie hatte am Unfallort nur die Möglichkeit, den Notruf via 112 abzusetzen. Man wird damit auch ihne eigene Netzabdeckung im Fremdnetz automatisch auf die nächstgelegene Polizeidienststelle verbunden – er wurde dann weiter zur Rettungsleitstelle verbunden. Im Laufe des Nachmittags bekam er eine SMS mit der Bitte um Rückruf auf eine Mobilnummer der Polizei Bruck. Er konnte diese natürlich nicht anrufen, da er ja kein Netz hatte. Beim weiteren Anruf auf 112 bekam er erst die Info, man könne ihn zu einem Mobiltelefon nicht verbinden – na sehr super! Gott sei Dank klappte das dann doch und Bernie konnte mit dem zuständigen Koordinator der Polizei wichtige Details austauschen und bekam wichtige Tipps. 

Eine weitere wichtige Erfahrung für uns, verstärkt durch den Tipp der Bergrettung (Zitat Toni/BR Rauris): Gösser-Dosen rinnen gerne im Rucksack aus! Villacher Bier ist da besser!!!

Und die Antwort auf die Frage: Wie faltet man einen Biwaksack? lautet: Gar nicht! Er ist, wie auch vieles Andere deiner Ausrüstung, über Jahre hinweg dein Freund und Begleiter. Und wenn du ihn immer auf deine Touren mitnimmst, er alles sieht, was du auch siehst, kann es sein, dass er sich eines Tages, in einer besonderen Situation, bei dir bedankt, für dich da ist und geht!
Das ist einfach seine Bestimmung! Das Ende unserer Biwaksäcke war somit der Plastikmülleimer des KH Schwarzach – thanks a lot! 

 

Für Mario:
Benjamin Franclin sagte (angeblich): “Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.” Ich bin unendlich dankbar, dass wir uns nicht verloren sondern noch mehr als Freunde gewonnen haben und hoffe, du wirst bald wieder mit uns “Blödsinn” (ok, nicht soooo einen Blödsinn) machen – siehe Video! Bernie

 

Links:

Unsere Checkliste: die Ausrüstung, die wir mithatten

Unser Tour: der Klagenfurter Jubiläumsweg (c) outdooractive.com 

Bericht der Bergung (c) Bergrettung Rauris via Facebook.com 

Infos und Tipps zum Biwaksack (c) bergundsteigen.at

Sicher am Berg – geballtes Wissen für Bergsportler (c) Österr. Alpenverein

Text: Mario Erlach, Bernie Pichler-Koban, Oktober 2019
Fotos: @Bergrettung Fusch, @B. Pichler-Koban, @www.on-tour.at